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Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen?

Prof. Dr. Binswanger, wie sehr hat Big Data und KI bereits unsere Welt verändert?

Big Data umfasst insbesondere eine relativ kleine Gruppe von Superstar-Firmen. Zu ihnen zählen zum Beispiel grosse Tech-Unternehmen wie Amazon oder Google und Startups wie Stripe oder Revolut. Diese Firmen bringen andere Unternehmen in Zugzwang. Erstaunlich ist hierbei, wie sehr Big Data und KI diese Firmen prägen und in unserer Wahrnehmung beeinflussen: Viele denken, die Welt sei voller Big Data. Richtig ist, dass sich die Prozesse von ca. 80 Prozent der Firmen im deutschsprachigen Raum im datenbasierten Bereich kaum verändert haben.

Wieso ist es dennoch wichtig, dass der Manager von heute etwas von KI versteht?

In vielen Unternehmen warten die datenbasierten Anwendungen noch darauf, entdeckt zu werden. Damit dieses Potenzial entdeckt werden kann, müssen Führungskräfte ein Gespür dafür bekommen, was datenbasierte Anwendungen, die wir oft als „KI“ bezeichnen, eigentlich leisten können. Voraussetzung ist natürlich, dass sie wissen, welche Geschäftsprozesse welche Daten hinterlassen (könnten) und wie diese Daten aussehen. Dies trägt entscheidend dazu bei , dass Führungskräfte realistische Erwartungen bzgl. Anwendungen und ihrem Nutzen haben. Bei der Implementierung und Evaluation der KI sollten sie somit pro-aktiv im Prozess miteinbezogen sein. Schliesslich müssen die Führungskräfte auch das nötige Geld für digitale Prozesse aufbringen und die Projekte in einen strategischen Zeitplan integrieren. „Strategisch“ ist hierbei ausschlaggebend, denn ein neuer Fokus auf eine datenbasierte Wertschöpfungsstrategie beinhaltet eine stark strategische Komponente. Dementsprechend sollten Führungskäfte in KI-Prozessen integriert sein und auch etwas von der Materie verstehen.

Brauchen in Zukunft alle Führungskräfte IT-Kenntnisse?

IT-Kenntnisse und ein Verständnis davon, was datenbasierte Lösungen erreichen können, sind grundsätzlich zwei verschiedene Dinge. Unter IT-Kenntnissen verstehe ich den Umgang mit IT-Tools. Das wird in der Tat wichtiger. Führungskräfte können jedoch über gute IT-Kenntnisse verfügen und dennoch keine Ahnung von datenbasierter Wertschöpfung und KI haben. Dies würde die Erfolgsaussichten des  KI-Einsatzes  tendenziell verringern.

Müssen in Zukunft alle Führungskräfte programmieren können?

Das Verständnis, was datenbasierte Lösungen erreichen können, hat nichts mit Programmieren zu tun. Es geht vielmehr darum, dass eine Führungskraft weiss, welches Potenzial Daten bieten können, um einen Maschinenpark oder ein Lager besser zu warten, Kundenwünsche besser zu erfüllen oder die Finanzplanung besser zu gestalten. Für dieses Verständnis muss man nicht programmieren können. Man sollte sich jedoch bewusst sein, wie solche Probleme im Unternehmen mit Daten realistisch gelöst werden können und wo eher nicht. Basierend darauf sollten Führungskräfte eine passende Datenstrategie definieren.

Wie sieht der Umgang mit Daten in Zukunft aus? Werden wir für Analysezwecke zum gläsernen Menschen?

Ich hoffe, dass dieses Szenario ausbleibt. Hingegen könnten in vielen Firmen Prozesse effizienter gestaltet werden, wenn wir über „gläserne Maschinen“ und „gläserne Lager“ unter anderem für Produktionsprozesse verfügen. Im Marketingbereich ist das Risiko des gläsernen Menschen jedoch höher. Es existieren bereits sehr viele Daten, die oft suboptimal genutzt werden. Wer kennt dieses Szenario nicht? Zum Zweck der gezielteren Gestaltung von Kampagnen werden oftmals bereits vorhandene Daten benutzt, um Werbekampagnen mit einer 10 prozentigen Rücklaufquote zu kreieren. Eine bessere Nutzung von Daten beudetet nicht, dass Menschen „gläserner“ werden, denn die Daten existieren bereits.

Wie kann uns Big Data helfen, um mit Unsicherheiten umzugehen?

Big Data hilft grundsätzlich dabei, regelmässig wiederkehrende Unsicherheiten zu verbessern. Supermärkte sollten an Samstagen mit schönem Wetter nicht mehr überrascht werden, wieviel Grillfleisch von den Leuten gekauft wird (für die Zukunft des Klimas hoffe ich, dass es bald pflanzliches Grillfleisch sein wird.) Wir Menschen sind schlecht darin, komplexe Muster mit vielen Einflussfaktoren zu durchschauen, auch wenn die Komplexität eigentlich aus regelmässigen Mustern resultiert. Hier kommen Big Data und Algorithmen ins Spiel, die uns helfen, wiederkehrende Muster zu erkennen.

Daneben gibt es viele Unsicherheiten darüber, wo Big Data absolut nichts bringt: Wird es 2035 zwei neue Wirtschaftsblöcke geben, die jeweils von China und dem Westen dominiert werden? Werden wir bis 2035 die Finanzierung von Klimamassnahmen in den Griff bekommen haben? Wird die Schweiz neue geregelte Beziehungen zu der EU gefunden haben? In der Sprache der Statistik, die hinter all den Algorithmen steht, haben wir hier einen „nicht-stationären datengenerierenden Prozess.“ Wenn das der Fall ist, hilft Big Data wenig bis nichts.

Erkennen Sie ethische oder moralische Probleme beim Umgang mit Daten? Inwiefern können Daten auch diskriminieren?

Wenn ich mir Projekte von Teilnehmenden unseres Executive MBA Programmes anschaue, sind die Anwendungen von Daten oft nicht kritisch. Regelmässig geht es um die Lagerbewirtschaftungen und den Maschinenpark. Die moralischen Probleme tauchen vor allem dann auf, wenn datenbasierte Lösungen in sensitiven Bereichen genutzt werden. Denken Sie etwa an die folgenden datenbasierten Entscheide: Sollen Gefängnisinsassen freigelassen werden? Wo sollen Polizeieinsätze erfolgen? Sollte eine Person staatlich überwacht werden, weil sie ein Sicherheitsrisko sein könnte? Oft sind das staatliche Aufgabenbereiche. Doch der Staat arbeitet hier oft mit privaten Anbietern zusammen, insbesondere im angelsächsischen Raum. Problematisch können auch datenbasierte Anwendungen im Versicherungsbereich sein. Dies beispielsweise, wenn jemand keine Zusatzversicherung erhält, weil das Mobiltelefon anhand des Gangs und der Stimme einer Person ein Gesundheitsrisiko entdeckt hat. Als problematisch kann ausserdem die Überwachung von Mitarbeitenden zwecks der Produktivitätserhöhung eingestuft werden.

Wo führt das hin? Welche Entwicklungen sehen Sie im Bereich Big Data und KI in der Zukunft?

Wie schon angetönt, gibt es eine recht extreme Segmentierung in der Nutzung von datenbasierten Lösungen. Während die Superstar-Firmen sehr weit sind, müssen wohl mehr als 80 Prozent der deutschsprachigen Firmen noch ein erstes Projekt entdecken, dass den Namen „datenbasiert“ verdient. Cooler klingt es natürlich, wenn man es „KI“ nennt. Ich bin etwas überrascht, wie viele Firmen hier noch im Schlafmodus sind. Für viele ist „KI“ eine Priorität für die kommenden drei Jahre. Das Risiko für diese 80 Prozent der Firmen besteht darin, dass Startups und Superstar-Firmen ihr Geschäft plötzlich untergraben. Dann ist es zu spät, um diesen Vorsprung wieder aufzuholen.

Wie sieht es mit der Regulierung von KI aus? Welche Regeln brauchen wir, um erfolgreich und gefahrenfrei diese Technologie nutzen zu können?

Wie die Regulierung ausgestaltet sein soll, ist eine schwierige Frage. Insbesondere rund um die Themen Sicherheit, Versicherungen und Mitarbeiterüberwachung bei privaten Firmen. Die EU ist hier in der Vorreiterschaft bei der Entwicklung. Ebenso schwierig ist es bei Themen, die die politische Meinungsbildung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen können, zum Beispiel auch via sozialen Netzwerken. Viele junge Firmen, die ihre Prozesse durch Datennutzung effizienter gestalten wollen, sind allerdings nicht von diesen heiklen Bereichen betroffen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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