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Zulässige Dauer von Dublin-Haft

Ein algerischer Staatsangehöriger war im November 2020 über Belgien in die Schweiz eingereist und hatte hier um Asyl ersucht. Das Staatssekretariat für Migration trat auf das Asylgesuch nicht ein und wies den Mann im Verfahren gemäss der Dublin-III-Verordnung nach Belgien weg. Der Rückführungsentscheid wurde am 4. Januar 2021 rechtskräftig. Der Betroffene wurde danach zunächst vom 26. Februar 2021 für sechs Wochen bis zum 9. April 2021 in Ausschaffungshaft genommen. Da er sich der Rückführung nach Belgien widersetzte, wurde er ab dem 8. April 2021 in Renitenzhaft genommen. Weil die Rückführung nicht möglich war, wurde er am 12. Mai 2021 aus der Haft entlassen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau kam zum Schluss, dass die zweite Haftperiode ab dem 8. April nicht zu beanstanden sei.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_610/2021 vom 11. März 2022

Das Bundesgericht heisst im Urteil 2C_610/2021 vom 11. März 2022 die Beschwerde des Mannes gut und stellt fest, dass die ab dem 8. April 2021 angeordnete Renitenzhaft widerrechtlich war.

Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung sieht zwei Inhaftierungsmöglichkeiten zur Sicherung der Rückführung in den zuständigen Dublin-Staat vor: Einerseits kann eine Person vor oder während der Klärung des für die Rückübernahme zuständigen Dublin-Staates inhaftiert werden, andererseits ist danach eine Inhaftierung zur Sicherung der Überstellung möglich.

Die Schweiz hat die Haftregeln der Dublin-III-Verordnung im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) umgesetzt. Unter anderem sieht Artikel 76a Absatz 4 AIG vor, dass Renitenzhaft von maximal drei Monaten angeordnet werden darf. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat die gemäss der Dublin-III-Verordnung zulässige Haftdauer konkretisiert; gemäss EuGH ist eine Inhaftierung spätestens sechs Wochen nach dem Zeitpunkt zu beenden, ab dem der Überstellungsentscheid vollziehbar wird (bzw. die aufschiebende Wirkung für den Vollzug wegfällt).

Das Bundesgericht kommt im Urteil 2C_610/2021 vom 11. März 2022 gestützt auf die ständige Rechtsprechung zum Schluss, dass die Vorgaben von Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung in der Auslegung des EuGH vorgehen, soweit die Regelung von Artikel 76a Absatz 4 AIG damit nicht vereinbar ist. Der Betroffene befand sich nach der grundsätzlichen Vollziehbarkeit seiner Überstellung nach Belgien (per 4. Januar 2021) ab dem 26. Februar 2021 bereits sechs Wochen in Haft. Die Renitenzhaft ab dem 8. April 2021 war damit widerrechtlich.

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